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Marx ~ Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg


geschrieben zwischen 6. und 9. September 1870

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KARL MARX

Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg

Nach: »Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich«, 3. Auflage, Berlin 1891; verglichen mit dem Text im »Volksstaat«.

An die Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation
in Europa und den Vereinigten Staaten

In unserm ersten Manifest vom 23. Juli sagten wir:

»Die Totenglocke des zweiten Kaiserreichs hat bereits in Paris geläutet. Es wird enden, wie es begonnen: mit einer Parodie. Aber vergessen wir nicht, daß es die Regierungen und die herrschenden Klassen Europas waren, die es Louis Bonaparte ermöglichten, 18 Jahre lang die grausame Posse der Restauration des Kaiserreichs zu spielen.«

Also schon bevor die Kriegsoperationen begonnen hatten, behandelten wir die bonapartistische Seifenblase als ein Ding der Vergangenheit.

Wir haben uns nicht über die Lebensfähigkeit des zweiten Kaiserreichs getäuscht. Wir hatten auch nicht unrecht in unsrer Befürchtung, der deutsche Krieg werde »seinen streng defensiven Charakter verlieren und in einen Krieg gegen das französische Volk ausarten«. Der Verteidigungskrieg endete in der Tat mit der Ergebung Louis-Napoleons, der Kapitulation von Sedan und der Proklamation der Republik in Paris. Aber schon lange vor diesen Ereignissen, schon in demselben Augenblick, wo die gänzliche Fäulnis der bonapartistischen Waffen zur Gewißheit wurde, entschloß sich die preußische Militärkamarilla zur Eroberung. König Wilhelms eigne Proklamation im Anfange des Kriegs lag zwar als häßliches Hindernis in ihrem Weg. In seiner Thronrede an den Norddeutschen Reichstag hatte er feierlich erklärt, Krieg zu führen nur gegen den Kaiser der Franzosen und nicht gegen das französische Volk. Am 11. August hatte er ein Manifest an die französische Nation erlassen, worin er sagte [1870 fehlten sowohl dieser Satz als auch das folgende Zitat]:

»Der Kaiser Napoleon hat die deutsche Nation, die gewünscht hat und noch immer wünscht, mit dem französischen Volk in Frieden zu leben, zu Wasser und zu Land angegriffen; ich habe den Befehl über die deutsche Armee übernommen, um seinen Überfall zurückzuweisen, und ich bin durch militärische Vorkommnisse dahin gebracht worden, die Grenzen Frankreichs zu überschreiten

Nicht zufrieden damit, den »rein defensiven Charakter« des Kriegs zu behaupten durch die Angabe, daß er nur den Oberbefehl über die deutschen Armeen übernommen, »um Überfälle zurückzuweisen«, fügte er noch bei, er sei nur »durch militärische Vorkommnisse dahin gebracht«, die Grenzen Frankreichs zu überschreiten. Ein Verteidigungskrieg schließt natürlich Angriffsoperationen nicht aus, diktiert durch »militärische Vorkommnisse«. [1870 fehlte dieser Absatz; der folgende bis einschließlich der Worte »der deutschen Nation nach« wurde gekürzt wiedergegeben]

Demnach hatte also dieser gottesfürchtige König sich vor Frankreich und der Welt verpflichtet zu einem rein defensiven Krieg. Wie ihn befreien von diesem feierlichen Versprechen? Die Bühnenregisseure mußten ihn darstellen, als gebe er widerwillig einem unwiderstehlichen Gebot der deutschen Nation nach; der liberalen deutschen Mittelklasse mit ihren Professoren, ihren Kapitalisten, ihren Stadtverordneten, ihren Zeitungsmännern gaben sie sofort das Stichwort. Diese Mittelklasse, welche in ihren Kämpfen für die bürgerliche Freiheit von 1846-1870 ein nie dagewesenes Schauspiel von Unschlüssigkeit, Unfähigkeit und Feigheit gegeben hat, war natürlich höchlichst entzückt, die europäische Bühne als brüllender Löwe des deutschen Patriotismus zu beschreiten. Sie nahm den falschen Schein staatsbürgerlicher Unabhängigkeit an, um sich zu stellen, als zwinge sie der preußischen Regierung auf – was? die geheimen Pläne eben dieser Regierung. Sie tat Buße für ihren jahrelangen und fast religiösen Glauben an die Unfehlbarkeit Louis Bonapartes, indem sie laut die Zerstückelung der französischen Republik forderte. Hören wir nur einen Augenblick den plausiblen Vorwänden dieser kernhaften Patrioten zu!

Sie wagen nicht zu behaupten, daß sich das Volk von Elsaß-Lothringen nach deutscher Umarmung sehne: gerade das Gegenteil. Um seinen französischen Patriotismus zu züchtigen, wurde Straßburg, eine Festung, beherrscht von einer selbständigen Zitadelle, sechs Tage lang zwecklos und barbarisch mit »deutschen« Explosivgeschossen bombardiert, in Brand gesetzt und eine große Anzahl verteidigungsloser Einwohner getötet. Jawohl! der Boden dieser Provinzen hatte vor langer Zeit dem längst verstorbnen deutschen Reich angehört. Es scheint daher, daß das Erdreich und die Menschen, die darauf erwachsen sind, als unverjährbares deutsches Eigentum konfisziert werden müssen. Soll die alte Karte von Europa einmal umgearbeitet werden nach dem historischen Recht, dann dürfen wir auf keinen Fall vergessen, daß der Kurfürst von Brandenburg seinerzeit für seine preußischen Besitzungen der Vasall der polnischen Republik war.

Die schlauen Patrioten jedoch verlangen Elsaß und Deutsch-Lothringen als eine »materielle Garantie« gegen französische Überfälle. Da dieser verächtliche Vorwand viele schwachsinnige Leute verwirrt gemacht hat, fühlen wir uns verpflichtet, näher darauf einzugehn.

Es ist unzweifelhaft, daß die allgemeine Gestaltung des Elsaß, zusammen mit der des gegenüberliegenden Rheinufers, und die Gegenwart einer großen Festung wie Straßburg, ungefähr halbweg zwischen Basel und Germersheim, einen französischen Einfall nach Süddeutschland sehr begünstigt, während sie einem Einfall von Süddeutschland nach Frankreich eigentümliche Schwierigkeiten entgegenstellt. Es ist ferner unzweifelhaft, daß die Annexion von Elsaß und Deutsch-Lothringen Süddeutschland eine weit stärkere Grenze geben würde; es würde dann Herr sein über den Kamm der Vogesen in ihrer vollen Länge und über die Festungen, welche deren nördliche Pässe decken. Wäre Metz auch annexiert, so würde Frankreich gewiß für den Augenblick zweier hauptsächlicher Operationsbasen gegen Deutschland beraubt sein, aber das würde es nicht verhindern, neue bei Nancy oder Verdun zu errichten. Deutschland besitzt Koblenz, Mainz, Germersheim, Rastatt und Ulm, lauter Operationsbasen gegen Frankreich, und hat sich ihrer in diesem Kriege reichlich bedient; mit welchem Schein von Berechtigung könnte es den Franzosen Metz und Straßburg mißgönnen, die einzigen beiden bedeutenden Festungen, die sie in jener Gegend besitzen?

Überdies gefährdet Straßburg Süddeutschland nur, solange dieses eine von Norddeutschland getrennte Macht ist. Von 1792-1795 wurde Süddeutschland nie von dieser Seite angegriffen, weil Preußen am Kriege gegen die französische Revolution teilnahm; aber sobald als Preußen 1795 seinen Separatfrieden machte und den Süden sich selbst überließ, begannen die Angriffe auf Süddeutschland, von Straßburg als Basis, und dauerten fort bis 1809. In Wirklichkeit kann ein vereinigtes Deutschland Straßburg und jede französische Armee im Elsaß unschädlich machen, wenn es alle seine Truppen zwischen Saarlouis und Landau konzentriert, wie in diesem Krieg geschehn; und vorrückt oder eine Schlacht annimmt auf dem Wege von Mainz nach Metz. Solange die Hauptmasse der deutschen Truppen dort steht, ist jede von Straßburg nach Süddeutschland einrückende Armee umgangen und in ihren Verbindungen bedroht. Wenn der jetzige Feldzug irgend etwas gezeigt hat, so die Leichtigkeit, Frankreich von Deutschland aus anzugreifen.

Aber ehrlich gesprochen, ist es nicht überhaupt eine Ungereimtheit und ein Anachronismus, wenn man militärische Rücksichten zu dem Prinzipe erhebt, wonach die nationalen Grenzen bestimmt werden sollen? Wollten wir dieser Regel folgen, so hätte Österreich noch einen Anspruch auf Venetien und die Minciolinie und Frankreich auf die Rheinlinie, zum Schutz von Paris, welches sicherlich Angriffen von Nordosten mehr ausgesetzt ist als Berlin von Südwesten. Wenn die Grenzen durch militärische Interessen bestimmt werden sollen, werden die Ansprüche nie ein Ende nehmen, weil jede militärische Linie notwendig fehlerhaft ist und durch Annexion von weiterm Gebiet verbessert werden kann; und überdies kann sie nie endgültig und gerecht bestimmt werden, weil sie immer dem Besiegten vom Sieger aufgezwungen wird und folglich schon den Keim eines neuen Kriegs in sich führt.

Das ist die Lehre aller Geschichte: Es ist mit Nationen wie mit einzelnen. Um ihnen die Möglichkeit des Angriffs zu entziehn, muß man sie aller Verteidigungsmittel berauben. Man muß sie nicht nur an der Kehle fassen, sondern auch töten. Wenn jemals ein Eroberer »materielle Garantien« nahm, um die Kräfte einer Nation zu brechen, so war es Napoleon I. durch seinen Vertrag von Tilsit und die Art und Weise, wie er ihn gegen Preußen und das übrige Deutschland durchführte. Und dennoch, einige Jahre später brach seine gigantische Macht wie ein verfaultes Schilfrohr vor dem deutschen Volk. Was sind die »materiellen Garantien«, die Preußen in seinen wildesten Träumen Frankreich aufzwingen kann oder darf, im Vergleich zu denen, welche Napoleon I. ihm selbst abzwang? Der Ausgang wird diesmal nicht weniger unheilvoll sein. Die Geschichte wird ihre Vergeltung bemessen nicht nach der Ausdehnung der von Frankreich abgerissenen Quadratmeilen, sondern nach der Größe des Verbrechens, daß man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Politik der Eroberungen aufs neue ins Leben gerufen hat.

Die Wortführer des deutschtümlichen Patriotismus sagen: Aber ihr müßt nicht die Deutschen mit den Franzosen verwechseln. Wir wollen nicht Ruhm, sondern Sicherheit. Die Deutschen sind ein wesentlich friedliebendes Volk. In ihrer besonnenen Obhut verwandelt sich sogar die Eroberung aus einer Ursache künftigen Kriegs in ein Pfand ewigen Friedens. Natürlich war es nicht Deutschland, welches 1792 in Frankreich einfiel mit dem erhabnen Zweck, die Revolution des 18. Jahrhunderts mit Bajonetten nieder zumachen! War es nicht Deutschland, welches seine Hände bei der Unterjochung Italiens, der Unterdrückung Ungarns und der Zerstücklung Polens besudelte? Sein jetziges militärisches System, welches die ganze kräftige männliche Bevölkerung in zwei Teile teilt – eine stehende Armee im Dienst und eine andere stehende Armee im Urlaub –, beide gleichmäßig zu passivem Gehorsam gegen die Regenten von Gottes Gnaden verpflichtet, so ein militärisches System ist natürlich eine »materielle Garantie« des Weltfriedens und obendrein das höchste Ziel der Zivilisation! In Deutschland, wie überall, vergiften die Höflinge der bestehenden Gewalt die öffentliche Meinung durch Weihrauch und lügenhaftes Selbstlob.

Sie scheinen indigniert beim Anblick der französischen Festungen Metz und Straßburg – diese deutschen Patrioten –, aber sie sehen kein Unrecht in dem ungeheuren System moskowitischer Befestigungen von Warschau, Modlin und Iwangorod. Während sie vor den Schrecken bonapartistischer Einfälle schaudern, schließen sie die Augen vor der Schande zarischer Schutzherrschaft.

Ganz wie 1865 zwischen Louis Bonaparte und Bismarck Versprechungen ausgewechselt worden, ebenso 1870 zwischen Gortschakow und Bismarck. Ganz wie Louis-Napoleon sich schmeichelte, daß der Krieg von 1866 durch gegenseitige Erschöpfung Österreichs und Preußens ihn zum obersten Schiedsrichter über Deutschland machen werde, ebenso schmeichelte sich Alexander, der Krieg von 1870 werde ihn durch gegenseitige Erschöpfung Deutschlands und Frankreichs zum obersten Schiedsrichter des europäischen Westens erheben. Ganz wie das zweite Kaiserreich den Norddeutschen Bund unvereinbar mit seiner Existenz hielt, ganz so muß das autokratische Rußland sich gefährdet glauben durch ein deutsches Reich mit preußischer Führerschaft. Das ist das Gesetz des alten politischen Systems. Innerhalb seines Bereichs ist der Gewinn des einen der Verlust des andern. Des Zaren überwiegender Einfluß auf Europa wurzelt in seiner traditionellen Oberherrlichkeit über Deutschland. Im Augenblick, wo vulkanische soziale Kräfte in Rußland selbst die tiefsten Grundlagen der Selbstherrschaft zu erschüttern drohn, kann sich da der Zar eine Schwächung seiner Stellung gegenüber dem Ausland gefallen lassen? Schon wiederholen die Moskauer Blätter dieselbe Sprache wie die bonapartistischen Zeitungen nach dem Kriege von 1866. Glauben die Deutschtümler wirklich, daß [1870: Unabhängigkeit,] Freiheit und Frieden Deutschlands gesichert sei, wenn sie Frankreich in die Arme Rußlands hineinzwingen? Wenn das Glück der Waffen, der Übermut des Erfolgs und dynastische Intrigen Deutschland zu einem Raub an französischem Gebiet verleiten, bleiben ihm nur zwei Wege offen. Entweder muß es, was auch immer daraus folgt, der offenkundige Knecht russischer Vergrößerung werden, [1870: eine Politik, die der Tradition der Hohenzollern entspricht,] oder aber es muß sich nach kurzer Rast für einen neuen »defensiven« Krieg rüsten, nicht für einen jener neugebackenen »lokalisierten« Kriege, sondern zu einem Racenkrieg gegen die verbündeten Racen der Slawen und Romanen. [1870: Das ist die Friedensperspektive, welche die hirnkranken Patrioten der Mittelklasse Deutschland »garantieren«.]

Die deutsche Arbeiterklasse hat den Krieg, den zu hindern nicht in ihrer Macht stand, energisch unterstützt, als einen Krieg für Deutschlands Unabhängigkeit und für die Befreiung Deutschlands und Europas von dem erdrückenden Alp des zweiten Kaiserreichs. Es waren die deutschen Industriearbeiter, welche mit den ländlichen Arbeitern zusammen die Sehnen und Muskeln heldenhafter Heere lieferten, während sie ihre halbverhungerten Familien zurückließen. Dezimiert durch die Schlachten im Auslande, werden sie noch einmal dezimiert werden durch das Elend zu Hause. [1870: Und die patriotischen Schreier werden ihnen zum Trost sagen, daß das Kapital kein Vaterland hat und daß der Arbeitslohn geregelt ist durch das unpatriotische internationale Gesetz der Nachfrage und Zufuhr. Ist es daher nicht die höchste Zeit, daß die deutsche Arbeiterklasse das Wort ergreift und den Herrn von der Mittelklasse nicht länger erlaubt, in ihrem Namen zu sprechen.] Sie verlangen nun ihrerseits »Garantien«, Garantien, daß ihre ungeheuren Opfer nicht umsonst gebracht worden, daß sie die Freiheit erobert haben, daß die Siege, die sie über die bonapartistischen Armeen errungen, nicht in eine Niederlage des deutschen Volks verwandelt werden wie im Jahre 1815. Und als erste dieser Garantien verlangen sie »einen ehrenvollen Frieden für Frankreich« und »die Anerkennung der französischen Republik«.

Der Zentralausschuß [1870: Ausschuß] der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei veröffentlichte am 5. September ein Manifest, worin er energisch auf diesen Garantien bestand.

»Wir«, sagte er, »wir protestieren gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen. Und wir sind uns bewußt, daß wir im Namen der deutschen Arbeiterklasse sprechen. Im gemeinsamen Interesse Frankreichs und Deutschlands, im Interesse des Friedens und der Freiheit, im Interesse der westlichen Zivilisation gegen orientalische Barbarei werden die deutschen Arbeiter die Annexion von Elsaß-Lothringen nicht geduldig ertragen … Wir werden treu zu unsern Arbeiterkameraden aller Länder stehn für die gemeinsame internationale Sache des Proletariats!«

Unglücklicherweise können wir nicht auf ihren unmittelbaren Erfolg rechnen. Konnten die französischen Arbeiter mitten im Frieden nicht den Angreifer zum Stehn bringen, haben da die deutschen Arbeiter mehr Aussicht, den Sieger aufzuhalten mitten im Waffenlärm? Das Manifest der deutschen Arbeiter verlangt die Auslieferung Louis Bonapartes, als eines gemeinen Verbrechers, an die französische Republik. Ihre Herrscher geben sich alle Mühe, ihn in den Tuilerien wieder einzusetzen als den besten Mann, um Frankreich zu ruinieren. Wie dem auch sein möge, die Geschichte wird zeigen, daß die deutschen Arbeiter nicht von demselben biegsamen Stoff gemacht sind wie die deutsche Mittelklasse. Sie werden ihre Pflicht tun.

Wie sie, begrüßen wir die Errichtung der Republik in Frankreich, aber zur selben Zeit mühen wir uns mit Besorgnissen, die sich hoffentlich als grundlos erweisen. Diese Republik hat nicht den Thron umgeworfen, sondern nur seinen leeren [1870: seinen durch deutsche Bajonette erledigten] Platz eingenommen. Sie ist nicht als eine soziale Errungenschaft proklamiert worden, sondern als eine nationale Verteidigungsmaßregel. Sie ist in den Händen einer provisorischen Regierung, zusammengesetzt teils aus notorischen Orleanisten, teils aus Bourgeoisrepublikanern; und unter diesen sind einige, denen die Juni-Insurrektion von 1848 ihr unauslöschliches Brandmal hinterlassen hat. Die Teilung der Arbeit unter den Mitgliedern jener Regierung scheint wenig Gutes zu versprechen. Die Orleanisten haben sich der starken Stellungen bemächtigt – der Armee und der Polizei –, während den angeblichen Republikanern die Schwatzposten zugeteilt sind. Einige ihrer ersten Handlungen beweisen ziemlich deutlich, daß sie vom Kaiserreich nicht nur einen Haufen Ruinen geerbt haben, sondern auch seine Furcht vor der Arbeiterklasse. Wenn jetzt in maßlosen Ausdrücken unmögliche Dinge im Namen der Republik versprochen werden, geschieht das nicht etwa, um den Ruf nach einer »möglichen« Regierung hervorzulocken? Soll nicht etwa die Republik in den Augen der Bourgeois, die gerne ihre Leichenbestatter würden, nur als Übergang dieser zu einer orleanistischen Restauration?

So findet sich die französische Arbeiterklasse in äußerst schwierige Umstände versetzt. Jeder Versuch, die neue Regierung zu stürzen, wo der Feind fast schon an die Tore von Paris pocht, wäre eine verzweifelte Torheit. Die französischen Arbeiter müssen ihre Pflicht als Bürger tun [1870: und sie tun es], aber sie dürfen sich nicht beherrschen lassen durch die nationalen Erinnerungen von 1792, wie die französischen Bauern sich trügen ließen durch die nationalen Erinnerungen des ersten Kaiserreichs. Sie haben nicht die Vergangenheit zu wiederholen, sondern die Zukunft aufzubauen. Mögen sie ruhig und entschlossen die Mittel ausnutzen, die ihnen die republikanische Freiheit gibt, um die Organisation ihrer eignen Klasse gründlich durchzuführen. Das wird ihnen neue, herkulische Kräfte geben für die Wiedergeburt Frankreichs und für unsre gemeinsame Aufgabe – die Befreiung des Proletariats. Von ihrer Kraft und Weisheit hängt ab das Schicksal der Republik.

Die englischen Arbeiter haben bereits Schritte getan, um durch einen gesunden Druck von außen den Widerwillen ihrer Regierung gegen die Anerkennung der französischen Republik zu brechen. Dies heutige Zaudern der englischen Regierung soll wahrscheinlich den Antijakobinerkrieg von 1792 wiedergutmachen, ebenso wie die frühere unanständige Eile, womit sie dem Staatsstreich ihre Zustimmung gab. Die englischen Arbeiter fordern außerdem von ihrer Regierung, daß sie sich mit aller Macht der Zerstücklung Frankreichs widersetze, nach welcher zu schreien ein Teil der englischen Presse schamlos genug ist [1870 lautet dieser Halbsatz: die natürlich von einem Teil der englischen Presse ganz so geräuschvoll bevorwortet wird, wie von den deutschen Patrioten]. Es ist dies dieselbe Presse, die zwanzig Jahre lang Louis Bonaparte als die Vorsehung von Europa vergöttert und der Rebellion der amerikanischen Sklavenhalter frenetischen Beifall zugeklatscht hat. Heute wie damals schanzt sie für den Sklavenhalter.

Mögen die Sektionen der Internationalen Arbeiterassoziation in allen Ländern die Arbeiterklasse zu tätiger Bewegung aufrufen. Vergessen die Arbeiter ihre Pflicht, bleiben sie passiv, so wird der jetzige furchtbare Krieg nur der Vorläufer noch furchtbarerer internationaler Kämpfe sein und wird in jedem Lande führen zu neuen Niederlagen der Arbeiter durch die Herren vom Degen, vom Grundbesitz und vom Kapital.

Vive la République!

Der Generalrat Robert Applegarth, Martin J. Boon, Fred. Bradnick, Caihil, John Hales, William Hales, George Harris, Fred. Leßner, Lopatin, B. Lucraft, George Milner, Thomas Mottershead, Charles Murray, George Odger, James Parnell, Pfänder, Rühl, Joseph Shepherd, Cowell Stepney, Stoll, Schmutz
 
korrespondierende Sekretäre Eugène Dupont, für Frankreich
Giovanni Bora, für Italien
Karl Marx, für Deutschland und Rußland
Zévy Maurice, für Ungarn
Antoni Zabicki, für Polen
A. Serraillier, für Belgien, Holland
James Cohen, für Dänemark
J. G. Eccarius, für die Vereinigten Staaten von Amerika
Hermann Jung, für die Schweiz
 
Benjamin Lucraft, Vorsitzender
John Weston, Schatzmeister
J. George Eccarius, Generalsekretär
Büro: 256, High Holborn, London, W. C.
9. September 1870

zuerst in deutscher Sprache in: »Der Volksstaat«, September 1870

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