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Marx ~ Erste Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg |
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geschrieben zwischen 19. und 23. Juli 1870 |
Nach: »Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich«, 3. Auflage, Berlin 1891; verglichen mit dem Text im »Volksstaat«.
An die Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation
in Europa und den Vereinigten Staaten
In der Inauguraladresse unserer Assoziation vom November 1864 sagten wir: »Wenn die Befreiung der Arbeiterklasse die brüderliche Vereinigung und Mitwirkung der Arbeiterklasse voraussetzt, wie kann sie diese große Mission erfüllen, solange eine auswärtige Politik, verbrecherische Pläne verfolgend, nationale Vorurteile gegeneinander aufhetzt und in räuberischen Kriegen Blut und Vermögen des Volks vergeudet?« Und wir bezeichneten die von der Internationale erstrebte auswärtige Politik mit diesen Worten: »Die einfachen Gesetze der Sittlichkeit und Gerechtigkeit, die die Beziehungen zwischen Privatleuten regieren sollen, müssen auch Geltung erhalten als die obersten Gesetze im Verkehr zwischen Völkern.«
Kein Wunder, daß Louis Bonaparte, der seine Herrschaft usurpiert hatte durch Ausbeutung des Klassenkampfs in Frankreich und sie verlängert durch wiederholte Kriege nach außen, von Anfang an die Internationale als einen gefährlichen Feind behandelt hat. Am Vorabend des Plebiszits setzt er einen Streifzug ins Werk gegen die Mitglieder der verwaltenden Ausschüsse der Internationalen Arbeiterassoziation in Paris, Lyon, Rouen, Marseille, Brest, kurz, in ganz Frankreich, unter dem Vorwand, die Internationale sei eine geheime Gesellschaft und plane ein Komplott zu seiner Ermordung, welcher Vorwand alsbald durch seine eignen Richter als vollständig abgeschmackt enthüllt wurde. Was war das wirkliche Verbrechen der französischen Sektionen der Internationale? Daß sie dem französischen Volk laut erklärten: Für das Plebiszit stimmen, heiße stimmen für den Despotismus im Innern und den Krieg nach außen. Und es war in der Tat ihr Werk, daß in allen großen Städten, in allen Industriezentren Frankreichs die Arbeiterklasse sich erhob wie ein Mann zur Verwerfung des Plebiszits. Zum Unglück wurden ihre Stimmen überwogen durch die schwerfällige Unwissenheit der Landbezirke. Die Fondsbörsen, die Kabinette, die herrschenden Klassen und die Presse von fast ganz Europa feierten das Plebiszit als einen glänzenden Sieg des französischen Kaisers über die französische Arbeiterklasse; in Wirklichkeit war es das Signal zur Ermordung, nicht eines einzelnen, sondern ganzer Völker.
Das Kriegskomplott vom Juli 1870 ist nur eine verbesserte Ausgabe des Staatsstreichs vom Dezember 1851. Auf den ersten Blick erschien die Sache so albern, daß Frankreich nicht an ihren wirklichen Ernst glauben wollte. Viel eher glaubte es dem Abgeordneten, der in den kriegerischen Ministerreden ein bloßes Börsenmanöver sah. Als am 15. Juli der Krieg endlich dem gesetzgebenden Körper amtlich angezeigt wurde, da verweigerte die ganze Opposition die Bewilligung der vorläufigen Gelder; selbst Thiers brandmarkte den Krieg als »abscheulich«; alle unabhängigen Journale von Paris verdammten ihn und sonderbarerweise stimmte ihnen die Provinzialpresse fast widerspruchslos bei.
Inzwischen waren die Pariser Mitglieder der Internationale wieder an der Arbeit. Im »Reveil« vom 12. Juli veröffentlichten sie ihr Manifest »an die Arbeiter aller Nationen«, worin es heißt:
»Abermals bedroht politischer Ehrgeiz den Frieden der Welt unter dem Vorwand des europäischen Gleichgewichts und der Nationalehre. Französische, deutsche und spanische Arbeiter! Vereinigen wir unsre Stimmen zu einem Ruf des Absehens gegen den Krieg … Krieg wegen einer Frage des Übergewichts oder wegen einer Dynastie kann in den Augen von Arbeitern nichts sein als eine verbrecherische Torheit. Gegenüber den kriegerischen Aufrufen derjenigen, die sich von der Blutsteuer loskaufen und im öffentlichen Unglück nur eine Quelle neuer Spekulationen sehn, protestieren wir laut, wir, die wir Frieden und Arbeit nötig haben! … Brüder in Deutschland! Unsere Spaltung würde nur im Gefolg haben den vollständigen Triumph des Despotismus auf beiden Seiten des Rheins … Arbeiter aller Länder! Was auch für den Augenblick das Ergebnis unsrer gemeinsamen Anstrengungen sein möge, wir, die Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation, für die es keine Grenzen gibt, wir schicken euch, als Pfand unauflöslicher Solidarität, die guten Wünsche und die Grüße der Arbeiter Frankreichs.«
Diesem Manifeste unserer Pariser Sektionen folgten zahlreiche französische Adressen, wovon wir hier nur eine anführen können: die Erklärung von Neuilly-sur-Seine, veröffentlicht in der »Marseillaise« vom 22. Juli:
»Ist der Krieg gerecht? Nein! Ist der Krieg national? Nein! Er ist ausschließlich dynastisch. Im Namen der Gerechtigkeit, der Demokratie, der wahren Interessen Frankreichs schließen wir uns vollständig und energisch den Protesten der Internationale gegen den Krieg an.«
Diese Proteste sprachen die wahren Gefühle der französischen Arbeiter aus, wie ein eigentümliches Ereignis dies alsbald deutlich bewies. Als die ursprünglich unter der Präsidentschaft von Louis Bonaparte organisierte Bande vom 10. Dezember, in Blusen als Arbeiter verkleidet, auf die Straßen losgelassen wurde, um dort durch indianische Kriegstänze das Kriegsfieber zu schüren, da [1870: Diesen falschen Brüdern] antworteten die wirklichen Arbeiter der Vorstädte mit so überwältigenden Friedensdemonstrationen, daß der Polizeipräfekt Piétri es für geraten hielt, aller ferneren Straßenpolitik plötzlich ein Ende zu machen unter dem Vorwand, das getreue Volk von Paris habe seinem langverhaltenen Patriotismus und seinem überströmenden Kriegsenthusiasmus genügend Luft gemacht.
Was immer auch der Verlauf des Krieges Louis Bonapartes mit Preußen sein möge, die Totenglocke des zweiten Kaiserreichs hat bereits in Paris geläutet. Es wird enden, wie es begonnen: mit einer Parodie. Aber vergessen wir nicht, daß es die Regierungen und die herrschenden Klassen Europas waren, die es Louis Bonaparte ermöglichten, achtzehn Jahre lang die grausame Posse der Restauration des Kaiserreichs zu spielen.
Von deutscher Seite ist der Krieg ein Verteidigungskrieg. Aber wer brachte Deutschland in den Zwang, sich verteidigen zu müssen? Wer ermöglichte Louis Bonaparte, den Krieg gegen Deutschland zu führen? Preußen! Bismarck war es, der mit demselben Louis Bonaparte konspirierte, um eine volkstümliche Opposition zu Hause niederzuschlagen und Deutschland an die Hohenzollerndynastie zu annexieren. Wäre die Schlacht bei Sadowa verloren worden anstatt gewonnen, französische Bataillone hätten Deutschland überschwemmt als Verbündete Preußens. Hat Preußen nach dem Siege auch nur für einen Augenblick geträumt, dem versklavten Frankreich ein freies Deutschland gegenüberzustellen? Gerade das Gegenteil! Es hielt ängstlich die angebornen Schönheiten seines alten Systems aufrecht und fügte obendrein alle Kniffe des zweiten Kaiserreichs hinzu, seinen wirklichen Despotismus und seine Scheindemokratie, seine politischen Blendwerke und seine finanziellen Schwindelelen, seine hochtrabenden Phrasen und seine gemeinen Taschenspielerkünste. Das bonapartistische Regime, das bisher nur auf einer Seite des Rheins blühte, hatte damit auf der andern sein Gegenstück erhalten. Und standen die Dinge so, was anders konnte daraus folgen als der Krieg?
Erlaubt die deutsche Arbeiterklasse dem gegenwärtigen Krieg, seinen streng defensiven Charakter aufzugeben und in einen Krieg gegen das französische Volk auszuarten, so wird Sieg oder Niederlage gleich unheilvoll. Alles Unglück, das auf Deutschland fiel nach den sogenannten Befreiungskriegen, wird wieder aufleben mit verstärkter Heftigkeit.
Die Grundsätze der Internationale sind jedoch zu weit verbreitet und zu fest gewurzelt unter der deutschen Arbeiterklasse, als daß wir einen so traurigen Ausgang befürchten müßten. Die Stimme der französischen Arbeiter ist zurückgehallt aus Deutschland. Eine Arbeitermassenversammlung in Braunschweig hat am 16. Juli sich mit dem Pariser Manifest vollständig einverstanden erklärt, jeden Gedanken eines nationalen Gegensatzes gegen Frankreich von sich gewiesen und Beschlüsse gefaßt, worin es heißt:
»Wir sind Gegner aller Kriege, aber vor allem dynastischer Kriege … Mit tiefem Kummer und Schmerz sehn wir uns hineingenötigt in einen Verteidigungskrieg als ein unvermeidliches Übel; aber gleichzeitig rufen wir die gesamte denkende Arbeiterklasse auf, die Wiederholung eines solch ungeheuren sozialen Unglücks unmöglich zu machen, indem sie für die Völker selbst die Macht verlangt, über Krieg und Frieden zu entscheiden und sie so zu Herren ihrer eignen Geschicke zu machen.«
In Chemnitz hat eine Versammlung von Vertrauensmännern, 50.000 sächsische Arbeiter vertretend, einstimmig folgenden Beschluß gefaßt:
»Im Namen der deutschen Demokratie und namentlich der Arbeiter der sozialdemokratischen Partei erklären wir den gegenwärtigen Krieg für einen ausschließlich dynastischen … Mit Freuden ergreifen wir die uns von den französischen Arbeitern gebotene Bruderhand … Eingedenk der Losung der Internationalen Arbeiterassoziation: ›Proletarier aller Länder, vereinigt euch!‹ werden wir nie vergessen, daß die Arbeiter aller Länder unsre Freunde und die Despoten aller Länder unsere Feinde sind.«
Die Berliner Sektion der Internationale antwortete ebenfalls auf das Pariser Manifest:
»Wir stimmen mit Herz und Hand in euren Protest ein … Wir geloben feierlich, daß weder Trompetenschall noch Kanonendonner, weder Sieg noch Niederlage uns abwenden soll von unserm gemeinsamen Werk der Vereinigung der Arbeiter in allen Ländern.« [1870: So sei es!]
Im Hintergrund dieses selbstmörderischen Kampfs lauert die unheimliche Gestalt Rußlands. Es ist ein böses Vorzeichen, daß das Signal zum gegenwärtigen Krieg gegeben wurde gerade in dem Augenblick, als die russische Regierung ihre strategischen Eisenbahnen vollendet hatte und bereits Truppen konzentrierte in der Richtung auf den Pruth. Welche Sympathien die Deutschen auch mit Recht beanspruchen mögen in einem Verteidigungskrieg gegen bonapartistischen Überfall, sie würden sie alsbald verlieren, erlaubten sie der deutschen Regierung, die Hülfe der Kosaken anzurufen oder auch nur anzunehmen. Mögen sie sich erinnern, daß nach seinem Unabhängigkeitskrieg gegen den ersten Napoleon Deutschland jahrzehntelang hilflos zu den Füßen des Zaren lag.
Die englische Arbeiterklasse reicht den französischen wie den deutschen Arbeitern brüderlich die Hand. Sie ist fest überzeugt, daß, möge der bevorstehende scheußliche Krieg endigen, wie er will, die Allianz der Arbeiter aller Länder schließlich den Krieg ausrotten wird. Während das offizielle Frankreich und das offizielle Deutschland sich in einen brudermörderischen Kampf stürzen, senden die Arbeiter einander Botschaften des Friedens und der Freundschaft. Diese einzige große Tatsache, ohnegleichen in der Geschichte der Vergangenheit, eröffnet die Aussicht auf eine hellere Zukunft. Sie beweist, daß, im Gegensatz zur alten Gesellschaft mit ihrem ökonomischen Elend und ihrem politischen Wahnwitz, eine neue Gesellschaft entsteht, deren internationales Prinzip der Friede sein wird, weil bei jeder Nation dasselbe Prinzip herrscht – die Arbeit!
Die Bahnbrecherin dieser neuen Gesellschaft ist die Internationale Arbeiterassoziation. [1870 fehlt dieser Satz]
Der Generalrat | Robert Applegarth, Martin J. Boon, Fred Bradnick, John Hales, William Hales, George Harris, Legreulier, Fred Leßner, W. Lintern, Zévy Maurice, George Milner, Thomas Mottershead, Charles Murray, George Odger, James Parnell, Pfänder, Rühl, Schmutz, Joseph Shepherd, Cowell Stepney, Stoll, W. Townshend |
korrespondierende Sekretäre | Eugène Dupont, für Frankreich A. Serraillier, für Belgien, Holland Karl Marx, für Deutschland und Spanien Hermann Jung, für die Schweiz James Cohen, für Dänemark Giovanni Bora, für Italien J. G. Eccarius, für die Vereinigten Staaten von Amerika Antoni Zabicki, für Polen |
Benjamin Lucraft, Vorsitzender John Weston, Schatzmeister J. George Eccarius, Generalsekretär |
Büro; 256, High Holborn, London, W. C. 23. Juli 1870 |
zuerst in deutscher Sprache in: »Der Volksstaat«, 7. August 1870 |
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