Auszug/Zitat/Quelle |
Lenin über die Diktatur des Proletariats |
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aus: »Staat und Revolution« (1917) |
Sieht man sich den Mechanismus der kapitalistischen Demokratie genauer an, so finde man überall, sowohl in den »geringfügigen«, angeblich geringfügigen, Einzelheiten des Wahlrechts (Ansässigkeitsklausel, Ausschließung der Frauen usw.) als auch in der Technik der Vertretungskörperschaften, in den tatsächlichen Behinderungen des Versammlungsrechts (die öffentlichen Gebäude sind nicht für »Habenichtse« da!) oder in der rein kapitalistischen Organisation der Tagespresse und so weiter und so fort – überall, wo man hinblickt, Beschränkungen auf Beschränkungen des Demokratismus. Diese Beschränkungen, Ausnahmen, Ausschließungen, Behinderungen für die Armen erscheinen gering, besonders demjenigen, der selbst nie Not gekannt hat und mit dem Leben der unterdrückten Klassen in ihrer Masse nicht in Berührung gekommen ist (und das trifft für neun Zehntel, wenn nicht gar für neunundneunzig Hundertstel der bürgerlichen Publizisten und Politiker zu) – aber zusammengenommen bewirken diese Beschränkungen die Ausschließung, daß die arme Bevölkerung von der Politik, von der aktiven Teilnahme an der Demokratie ausgeschlossen, verdrängt wird […] Doch von dieser kapitalistischen Demokratie – die unvermeidlich eng ist, die die Armen im stillen beiseite schiebt und daher durch und durch heuchlerisch und verlogen ist – führt die weitere Entwicklung nicht einfach, geradeswegs und glatt, »zu immer größerer Demokratie«, wie die liberalen Professoren und kleinbürgerlichen Opportunisten die Sache darzustellen pflegen. Nein. Die weitere Entwicklung, d. h. die Entwicklung zum Kommunismus, geht über die Diktatur des Proletariats und kann auch gar nicht anders gehen, denn außer dem Proletariat ist niemand imstande, den Widerstand der kapitalistischen Ausbeuter zu brechen, und auf anderem Wege ist er nicht zu brechen. Die Diktatur des Proletariats aber, d. h. die Organisierung der Avantgarde der Unterdrückten der herrschenden Klasse, um die Unterdrücker niederzuhalten, kann nicht einfach nur eine Erweiterung der Demokratie ergeben. Zugleich mit der gewaltigen Erweiterung des Demokratismus, der zum erstenmal ein Demokratismus für die Armen, für das Volk wird und nicht ein Demokratismus für die Reichen, bringt die Diktatur des Proletariats eine Reihe von Freiheitsbeschränkungen für die Unterdrücker, die Ausbeuter, die Kapitalisten. Diese müssen wir niederhalten, um die Menschheit von der Lohnsklaverei zu befreien, ihr Widerstand muß mit Gewalt gebrochen werden, und es ist klar, daß es dort, wo es Unterdrückung, wo es Gewalt gibt, keine Freiheit, keine Demokratie gibt.
Engels hat dies ausgezeichnet in seinem Brief an Bebel zum Ausdruck gebracht, wenn er, wie der Leser sich entsinnen wird, sagt: »Solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner, und sobald von Freiheit die Rede sein kann, hört der Staat als solcher auf zu bestehen«.
Demokratie für die riesige Mehrheit des Volkes und gewaltsame Niederhaltung der Ausbeuter, der Unterdrücker des Volkes, d. h. ihr Ausschluß von der Demokratie – diese Modifizierung erfährt die Demokratie beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus.
Erst in der kommunistischen Gesellschaft, wenn der Widerstand der Kapitalisten schon endgültig gebrochen ist, wenn die Kapitalisten verschwunden sind, wenn es keine Klassen (d. h. keinen Unterschied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln) mehr gibt – erst dann »hört der Staat auf zu bestehen« und »es kann von der Freiheit die Rede sein« […] Also: In der kapitalistischen Gesellschaft haben wir eine gestutzte, dürftige, falsche Demokratie, eine Demokratie nur für die Reichen, für eine Minderheit. Die Diktatur des Proletariats, die Periode des Übergangs zum Kommunismus, wird zum erstenmal Demokratie für das Volk, für die Mehrheit bringen, aber zugleich wird sie notwendigerweise eine Minderheit, die Ausbeuter, niederhalten. Einzig und allein der Kommunismus ist imstande, eine wahrhaft vollständige Demokratie zu bieten, und je vollständiger diese sein wird, um so schneller wird sie entbehrlich werden, wird von selbst absterben.
zitiert nach: Tenbrock (Hg.), Zeiten und Menschen. Hannover 1970 |
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